Das Independent-Label "ACT" feiert den Jazz und Gründer Siegfried 'Siggi' Loch in der Philharmonie Berlin. Mit Musik, Menschen, Metaphysik – und prominentem Besuch.
Sogar der Bundespräsident ist gekommen, um zu gratulieren. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Leben zweimal 30 werde“, gesteht ein sichtlich gerührter Jazzlabel-Gründer und Musikproduzent Siegfried ‚Siggi‘ Loch an diesem Abend auf der Bühne der Philharmonie Berlin. Zu feiern gibt es genug: Musikalisches. Menschliches. Metaphysisches. Das Beste aus drei Jahrzehnten ACT Music.
„In the Spirit of Jazz”, das schreibt sich das Label aus München von Beginn an auf die Fahnen. Entstanden ist es aus der Vision des einstmaligen Musikmanagers Loch heraus, der auf dem Höhepunkt seiner Angestellten-Karriere vom eigenen Independent-Jazzlabel träumt – und den Traum kurzerhand Realität werden lässt. Inspiriert haben ihn persönliche Begegnungen mit Jazz-Legenden wie Sidney Bechet oder Klaus Doldinger. Seit der Gründung im Jahr 1992 ist ACT so zum Synonym geworden für Jazz, der nur der Musik und ihren Menschen verpflichtet ist, „integrativ, weltoffen und weithin respektiert“, wie The Guardian es einmal beschrieben hat.
Und um musikalisch zu gratulieren, sind an diesem Abend so gut wie alle namhaften Künstlerinnen und Künstler des Labels persönlich erschienen. Stellvertretend für sie bedankt sich ein charmant-cooler „Mr. Red Horn“ Nils Landgren, der als Moderator durch das Programm führt. Der schwedische Ausnahmeposaunist gehört selbst zu den ersten, die Loch schon in der Anfangszeit unter Vertrag genommen hat; heute ist er ein Star der Szene mit Millionen verkaufter Tonträger. Landgren unterstreicht in seiner Moderation dankbar, dass es gerade „die Freundschaft“ sei – Siggi Lochs Freundschaft – die alle Künstlerinnen und Künstler des Labels so sehr schätzten. Der gesamte Saal erhebt sich kurzerhand. Was folgt, ist minutenlanger Applaus für den Mann hinter der Vision.
"This is Jazz, Baby!"
Doch bei so viel persönlicher Wertschätzung darf auch die Musik nicht zu kurz kommen, deshalb geht es umso rasanter durch das Programm:
Eröffnet hatte man im ganz großen Stil mit dem Stück „Blue Corner“: Nils Landgren an seiner roten Posaune, Wolfgang Haffner an den Drums, Michael Wollny am Flügel, Lars Danielsson am Bass plus Altsaxophon-„Jung“-Star Jakob Manz – gemeinsam bringen sie als neues Dream-Team des Labels die Philharmonie ordentlich zum Beben. Und schon hier ist eigentlich alles gesagt: This is Jazz, Baby! Das Publikum versteht – und ist begeistert. Allen voran ein sichtbar zufriedener Bundespräsident, der selbst großer Jazzfan ist und in der Pause aus dem Erzählen mit Siggi Loch gar nicht mehr herauskommt.
Nils Landgren & Ida Sand im Duett
Die Musik fließt im Folgenden wie ein einziger großer Jazzrausch dahin, streift alle Formen und Facetten, von Straight-ahead-Jazz-Momenten über Standards wie Caravan, spanisch-arabische Anklänge oder modernistisch-zeitgenössische Improvisation; alles ist dabei. Und alles ist gut.
Viktoria Tolstoy singt schließlich „Shining on You” und hätte sich keinen sprechenderen Songtitel aussuchen können: Wie ihr Pailletten-Kleid funkelt auch die Musik durch den Saal und stimmgewaltig erreicht sie die gesamte Philharmonie fast im Alleingang. Ida Sand, ebenfalls erfolgreiche Solo-Künstlerin von ACT und eine der besten Soulstimmen im aktuellen Jazz überhaupt, tut es ihr gleich; schlägt genauso aber auch sanfte Töne an, als sie gemeinsam im Duett mit Nils Landgren eigens für Loch noch einmal den Evergreen „Young at Heart“ singt.
Jazz als verständigende Kraft
Was der Abend außerdem bringt, sind ‚partnerschaftliche‘ Saxofon-Duelle auf Spitzenniveau von Jakob Manz und Magnus Lindgren, wobei letzterer auch in weiteren Stücken auf Instrumenten wie Klarinette oder Flöte brilliert – und ebenso gemeinsam mit dem lyrisch-verträumten Cello-Spiel der spanischen Künstlerin Nesrine. Sie singt erst ein Lied ihrer Heimat, um nachfolgend die Eigenkomposition zu einem Gedicht von Khalil Gibran vorzustellen.
Überhaupt strahlt dieses Konzert von Europa in die Welt und umgekehrt: Schwedische Posaunisten und Bassisten, libanesisch-US-amerikanische Dichtung, ein Gitarrist Ulf Wakenius, der schon gemeinsam mit Oscar Peterson gespielt hat, orientalische Tonwelten, Musik von Keith Jarrett, isländische Nachwuchsstars (Anna Gréta) und Schweizer Beatboxing à la Al Jarreau (Andreas Schaerer) – die buntesten Klangfarben sind hier so ungewöhnlich wie harmonisch miteinander verwoben. Ein Plädoyer für den Reichtum des Jazz, seine verständigende Kraft.
"Anyone who wants to play: Come on in!"
Und spätestens, wenn David Helbock am Klavier einfach mal so „Komm, lieber Mai, und mache“ von Mozart anstimmt, zur basslastigen Power-Improvisation umformt und am Schluss sogar mit einer Hand an den Saiten dem Flügel passende Cembalo-Sounds entlockt, ist klar: ACT, das steht für Freiheit. Die Freiheit der Musik und des Ausdrucks seiner Künstlerinnen und Künstler.
Am Ende bedankt sich der neue ACT-Chef, Andreas Brandis, ebenso herzlich und freundlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern („Das beste Team der Welt“) – und Nils Landgren bittet zum großen Finale auf die Bühne: „Anyone who wants to play: Come on in!“
Alle gemeinsam präsentieren sie ein auf den Label-Gedanken umgetextetes Traditional: „Let’s ACT Together“. Und wenn die schönste Definition von Jazz heißt, dass er „Contribution“, also „Beitrag“ ist – die Möglichkeit, sich musikalisch einzubringen und andere mit Musik zu bereichern –, dann erfüllt sie ACT an diesem Abend wohl vollends.
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